Clownsein


Blöd dastehen

Ich wurde neulich von einem Freund und Kollegen gefragt, wann ich mich entschieden habe, Clown zu sein. Clown zu sein. Schwer zu beantworten.
Wann ich mich entschieden habe, Clown zu werden, weiss ich genau: unspektakulär, fast nebenbei. Eine Freundin sagte, sie gehe jetzt nach Wien und werde Clown; ich sagte, ich auch. das war’s.
Ich war 18, kurz vor der Matura.

... Clown zu sein.

Drei Jahre später nannte ich mich Clownin und arbeitete als solche. Nach noch einmal sechs Jahren sah ich meine Zukunft im Tanzen und wollte mich eigentlich vom Clowndasein verabschieden. Aber das brachte mich nur noch tiefer ins Clownsein. Beim Tanzen lernt man/frau jede Körperfaser kennen, und das ist für Clowns sehr gut! Jedoch befand ich mich unter TänzerInnen, und die nehmen sich alle so fürchterlich ernst!

clown darf blöd dastehen
muss nie sicher sein
der Zustand des Nichtwissens, ein enormes Risiko, aber mächtig interessant
sich selbst ständig in Frage stellen
und so
direkt in die Herzen der Menschen spazieren

Clownsein im Krankenhaus

Anfangs bedeutete das bloß eine zusätzliche Möglichkeit, Geld zu verdienen, ein Job, endlich (!!!) regelmässiges Geld.
Später merkte ich, dass ich durch das regelmässig live improvisieren auch auf der Bühne immer besser wurde, dass diese Arbeit das beste Training für mich ist.
Und dann, nach ca. 1 ½ Jahren merkte ich: diese Arbeit macht etwas mit mir.
Ich kann mich einem gewissen „ich weiss nicht, wie ich es nennen soll“ nicht mehr entziehen.
Was passiert da?
Ich habe eine Aufgabe da drin. Die Aufgabe ist meine Anwesenheit. Aus. Aber das dafür ganz. mit Leib und Seele. Mit jeder Faser. Nichts wollen. Nicht mal, dass gelacht wird. Schön, wenn es passiert, aber ich darf es nicht wollen. Auch nicht, dass das Kind gesund wird. Oder dass es irgendwem besser geht. Schön, wenn’s passiert, aber wollen darf ich’s nicht. Ich darf von niemand irgendwas wollen. Aber wie soll das gehen?

„Der Zustand“

„Es“ passiert. „Es“ spielt.
Ich nenne es auch „eingeklinkt sein“
in etwas, das dann das Ruder übernimmt, „Regie führt“.
Schaffe ich es, mich in „den Zustand“ zu versetzen, passiert „es“, das Unbeschreibliche, das, wovon ich nicht weiss, wie ich es mache, wovon ich nur weiss, dass ich es mache, dass ich es kann. Wenn ich wüsste, wie, würde es nicht mehr funktionieren, das ahne ich. Aber ich bin jedes mal dankbar, wenn „es“ passiert. Das ist dann magisch. Mystisch. Beinahe spirituell. Aber nur beinahe. Aber dann spiritueller als spirituell überhaupt sein kann. So spirituell kann spirituell gar nicht sein, wie das spirituell ist.

Ohne die Arbeit in den Krankenhäusern wäre ich niemals da hin gekommen.
Dort ist selbstverständlich, was nicht viele darstellende KünstlerInnen kapieren, was aber für alle, ob auf Bühnen, Strassen, in Krankenhäusern oder überhaupt für’s Leben wichtig ist.
Der Schlüssel: clown muss sein/ihr Ego zurückstellen und das füttern, was gerade entsteht, um die Menschen ob klein oder gross im Krankenzimmer (im Publikum) zu erreichen. Ob das der/die PartnerIn ist, die ZuschauerInnen oder überhaupt etwas „von aussen“ oder doch clown selbst, steht erst an zweiter Stelle.

Bescheidenheit.

Zwischen Clown und Publikum entsteht etwas drittes, und das ist das wichtigste.
Ich lege meine Erwartungen, Wünsche , Sehnsüchte, meinen Hunger für eine Weile beiseite und nehme meine Spiellust mit, meine Zuneigung für das Schwache, mein Verständnis für das Empfindliche, meine Unbedarftheit, meine naive Betroffenheit. Und manchmal, wenn ich Glück habe, schleicht sich was kleines mit mir hinein, dann passiert „es“, dann habe ich sie erreicht: die Herzen.


Darstellende KünstlerInnen im Teufelskreis

Der dahinterstehende Wunsch, geliebt zu werden - dafür etwas tun müssen, etwas leisten müssen, gut sein müssen, immer perfekter werden, und doch das Ersehnte nie bekommen.
So tun als wäre alles in Ordnung. Verstecken. Kaschieren. Ich bin perfekt. Ich muss perfekt sein. Das andere, das was nicht perfekt ist, überdecke ich mit Perfektheiten. Dann sieht’s keiner ...

Clowns haben den Ausweg!
Denn hier kann man nicht unperfekt genug sein, je unperfekter, desto besser. Das Unperfekte macht’s erst interessant. Das Unperfekte ist das Potential. Das hundertprozentig persönlich einmalige ist gefragt.
Ich habe durch die vielen vielen Improvisationen in den Krankenhäusern gelernt:
„Probleme“ sind wichtig! Meine Probleme sind wichtig! In Konflikte geraten und wieder heraus kommen und sich dabei amüsieren, das ständige Thema. Wenn ich etwas neues benütze (Objekt, Kostüm,...), frage ich mich als erstes: welche Probleme kann ich damit haben. Wenn es viele sind, nehme ich es.
Irgendwann kam ich drauf, dass ich ständig übe, mich lustvoll ins Fiasko zu stürzen. Anfangs mit der ängstlichen Hoffnung, später mit wachsendem Vertrauen, dass eine Lösung von alleine kommen wird. Dass es meist nicht die ist, die man sich erwartet oder gewünscht hat, macht es noch spannender.

Wenn man/frau das nur im Leben auch könnte ...
man/frau kann! clown lebt mir ständig den Beweis vor!
Und deshalb ist Clownwerden ein lebenslanger Prozess.
Deshalb sind alte Clowns so gross.
Deshalb möchte ich nie etwas anderes machen.
Der schönste Beruf.

 
 

Tanja Simma, November 2000